- Kanaan unter der Vorherrschaft der Ägypter
- Kanaan unter der Vorherrschaft der ÄgypterDas älteste Zeugnis für den Namen »Israel« stammt aus Ägypten. Auf der 1896 in Theben gefundenen, vom Ende des 13. Jahrhunderts v. Chr. stammenden Stele des Pharao Merenptah, des Sohnes Ramses' II., wird der Sieg des Pharao über eine in Ägypten eingefallene libysche Streitmacht gefeiert. In poetischer Sprache wird der Ruhm des Pharao besungen, der die Ägypten umgebenden »Feinde« unterworfen und so »Frieden« geschaffen habe. In der Liste der besiegten Feinde wird auch »Israel« genannt. Während die aufgeführten Feindnamen allesamt durch die entsprechenden Hieroglyphenzeichen als Länder oder Städte gekennzeichnet sind, stehen vor »Israel« die Zeichen Wurfholz/Mann und Frau sowie Pluralstriche, wodurch »Israel« als Stammes- oder Sippenformation ausgewiesen ist. Von der Reihenfolge der genannten »Feindnamen« her ist als Lebensraum dieser Sippenformation das Gebiet Palästina zu erschließen, das um diese Zeit noch mit ebenfalls ägyptisch beherrschten kanaanäischen Stadtkönigtümern besetzt war und in deren Umkreis die als »Israel« bezeichneten nichtsesshaften Gruppen, die nach anderen ägyptischen Texten auch »Hapiru« und »Schasu« hießen, lebten.Welcher Text der Bibel den ältesten Beleg für »Israel« bietet, ist in der Bibelwissenschaft kontrovers. Meist wird dafür das Siegeslied der Debora (Richter 5) angenommen. Es feiert die Prophetin Debora als »Mutter Israels«, da sie die zögernden Stämme zum Israel rettenden militärischen Widerstand gegen den kanaanäischen Stadtkönig Jabin und dessen General Sisera in der Ebene von Jesreel beflügelte. Auch dieser Text meint mit »Israel« eine Sippenformation inmitten kanaanäischer Stadtkönigtümer.Über die Anfänge Israels zeichnet die Bibel in den fünf Büchern Mose (Pentateuch) und in den Büchern Josua und Richter ein im Einzelnen recht unterschiedliches Bild. Diese Bücher sind keine unmittelbar auswertbaren Geschichtsquellen. Sie sind auch nicht als solche entstanden. In historischer Hinsicht geben sie zunächst nur Auskunft darüber, wie man sich zur Zeit der Entstehung dieser Texte die Anfänge Israels erzählt und gedeutet hat. Die meisten sind mehrere Jahrhunderte nach den in ihnen erzählten Ereignissen verfasst worden. Vielfach wollen sie gar keine historischen Begebenheiten darstellen, sondern sind Gottesgeschichten unter Verwendung geschichtlicher Erinnerungen und Motive.Die Bibelwissenschaft hat über die Entstehung Israels mehrere Theorien entwickelt. Meist wurden dabei siedlungsgeschichtliche, archäologische und den geographischen Großraum - Mesopotamien, Kanaan und Ägypten - betreffende historische Quellen mit den biblischen Texten verglichen, wobei je nach Gewichtung der Aspekte unterschiedliche Theorien entstanden. Entscheidende Erkenntnis der letzten Jahre und die derzeit am meisten vertretene Annahme ist das archäologisch festgestellte Auftreten einer neuen, breit gestreuten Dorfkultur zwischen 1200 und 1000 v. Chr. Auch wenn es dafür keine textlichen Zeugnisse gibt, ist es höchst wahrscheinlich, dass diese neue Kultur und die mit ihr verbundenen religiösen Glaubensvorstellungen mit der wachsenden politischen Herrschaft jener Gruppen zusammenhängen, die dann ab 1000 v. Chr. (nach König Saul) unter den Königen David und Salomo als territorialstaatliche Größe historisch greifbar werden.Die ökonomische Grundlage der kanaanäischen Stadtstaaten bildete die Landwirtschaft, in erster Linie Getreideanbau, Öl- und Weinproduktion, aber auch Viehzucht. Zu diesen Produkten der bäuerlichen Bevölkerung der Städte und der in ihrem Umkreis gelegenen Gehöfte kamen die Produkte der in ökonomischem Austausch mit den Städten lebenden Kleinviehnomaden, die Fleisch, Milch, Wolle, Leder lieferten. Mit diesen agrarischen und tierischen Produkten beschickten die kanaanäischen Kleinfürsten auch den internationalen Markt, von dem sie selbst vor allem Luxusgüter, insbesondere kostbare ausländische Keramik, und Materialien für Herstellung von Luxusgütern, zum Beispiel Elfenbein, Gold und Silber bezogen. Die Hauptlast für die Aufrechterhaltung der Verwaltung in den Stadtstaaten und für die Hofhaltung der Fürsten lag auf den Bauern und Handwerkern. Dabei war die Bevölkerung zusätzlich belastet durch die Abgaben und Arbeitsleistungen, die die Ägypter von den kanaanäischen Lokalfürsten einforderten, und durch die Versorgung der im Land stationierten ägyptischen Truppen.Prof. Dr. Erich Zenger
Universal-Lexikon. 2012.